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Angehörigenpflege Schweiz: Was der Bericht des Bundesrates zur Angehörigenpflege bedeutet – und was nun zu tun ist

5.12.2025

Mit dem rund 50-seitigen Bericht zu "Pflegeleistungen pflegender Angehöriger im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung" liefert der Bundesrat eine sorgfältige Bestandsaufnahme, die klar zeigt: Pflegende Angehörige spielen eine zunehmend zentrale Rolle in der Schweizer Gesundheitsversorgung.

Aussenansicht des Bundeshauses in Bern, Schweiz

Der kürzlich erschienene Bericht des Bundesrates zu "Pflegeleistungen pflegender Angehöriger im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung" markiert einen wichtigen Meilenstein für die Angehörigenpflege in der Schweiz. Der Bund erkennt offiziell an, dass pflegende Angehörige ein zentraler Pfeiler des Gesundheitssystems sind. Gleichzeitig zeigt der Bericht, dass viele Fragen offen bleiben – insbesondere hinsichtlich einer nationalen Regelung und der Finanzierung der Angehörigenpflege in der Schweiz. Damit pflegende Angehörige künftig gerechter, professioneller und nachhaltiger eingebunden sind, braucht es nun klare Vorgaben und gemeinsame Standards.

Kernbefunde des Berichts über die Angehörigenpflege in der Schweiz

  • Angehörige dürfen grundsätzlich angestellt werden durch Spitex-Organisationen – sofern Qualität, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllt werden.
  • Es besteht kein unmittelbarer Bedarf, so der Bund, für neue Bundesgesetze auf nationaler Ebene – vielmehr sollen bestehende Instrumente effektiv genutzt werden.
  • Qualitätssicherung und finanzielle Steuerung sind zentrale Handlungsfelder: Etwa separate Erfassung der Leistungen pflegender Angehöriger, Mindestanforderungen an Ausbildung und Begleitung und eine transparente Dokumentation.
  • Kantone bleiben bei Zulassung und Aufsicht zuständig – und müssen sicherstellen, dass Organisationen die Voraussetzungen erfüllen.

Doch genau hier beginnt das Problem: Die Empfehlungen sind gut – aber ohne verbindlichen Rahmen droht Bürokratiechaos.

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Warum Bürokratiechaos droht – und wie eine nationale Regelung zur Angehörigenpflege in der Schweiz hilft

Die Schweiz kennt das Phänomen: Jeder Kanton entwickelt eigene Regelungen – mit der Folge eines Flickenteppichs aus 26 unterschiedlichen Systemen. Genau das droht auch der Angehörigenpflege. Unterschiedliche Zulassungsverfahren, divergierende Qualitätsanforderungen und kantonal variierende Finanzierungslogiken würden nicht nur die Spitex-Organisationen belasten, sondern auch die Krankenversicherer und letztlich die öffentlichen Haushalte.

Damit ein professionelles, gerechtes und finanzierbares System entsteht, braucht es eine nationale, einheitliche Regelung der Angehörigenpflege in der Schweiz. Und zwar – wie auch der Bundesrat feststellt – nicht durch neue Gesetzesnormen oder Bundesstrukturen, sondern durch ein Instrument, das längst existiert: Der Qualitätsvertrag nach Art. 58a KVG muss zur zentralen Schaltstelle werden.

Der Qualitätsvertrag nach Art. 58a KVG als Schlüssel

Der Qualitätsvertrag Art. 58a KVG legt verbindliche Vereinbarungen zwischen Leistungserbringern und Versicherern zur Qualitätsentwicklung im Gesundheitswesen fest. Wenn die Leistungserbringer (ASPS, Spitex Schweiz) und die Versicherer (Prioswiss) gemeinsam einen nationalen Qualitätsstandard für die Angehörigenpflege entwickeln, entsteht genau der verbindliche Rahmen, der heute fehlt.

Dieser Qualitätsstandard sollte:

  • Mindestanforderungen an Ausbildung, Begleitung und Dokumentation festlegen,
  • klare Vorgaben zur Qualitätssicherung enthalten,
  • die im Bericht vorgeschlagenen Standards vollständig integrieren,
  • Transparenz und Vergleichbarkeit schaffen.

Damit gälte für alle Spitex-Organisationen die eine Anstellung von pflegenden Angehörigen anbieten, derselbe Rahmen – unabhängig vom Kanton.

Die Kantone könnten ihre Zulassungs- und Aufsichtsaufgaben dann am Qualitätsvertrag ausrichten, statt eigene Regulierungen zu schaffen. Das spart Bürokratie. Und es verhindert, dass sich Organisationen in einen 26-fadigen Flickenteppich verstricken. 

Damit gälte für alle Spitex-Organisationen, die bezahlte Angehörigenpflege anbieten, derselbe Rahmen – unabhängig vom Kanton.

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Kantone und Restfinanzierer als Enabler: Finanzierung der Angehörigenpflege in der Schweiz

Dass es nationale Standards gibt reicht aber nicht, wenn niemand im Stand ist, diese einzuhalten. Hier tragen die Kantone und übrigen Restfinanzierer eine zentrale Verantwortung: Sie müssen gewährleisten, dass jene Spitex-Organisationen, die bezahlte Angehörigenpflege anbieten, die neuen Anforderungen des Qualitätsvertrags überhaupt erfüllen können. Wer höhere Qualität fordert, muss auch die Mittel dafür bereitstellen – alles andere würde die Organisationen in eine regulatorische Falle treiben.

Besonders heikel ist die Übergangsphase: Für die Berechnung der Restfinanzierung der Angehörigenpflege in der Schweiz kann derzeit nicht auf bestehende Kostenrechnungsdaten der Spitex-Organisationen zurückgegriffen werden. Diese Zahlen werden die neuen regulatorischen Bedingungen dann schlicht nicht länger widerspiegeln: Sie stammen aus einer Welt vor dem Qualitätsvertrag. Würde man sie als Berechnungsgrundlage verwenden, entstünden künstliche Finanzierungslücken und Fehlanreize.

Darum braucht es dringend ein temporäres, durch unabhängige Expertinnen und Experten erstelltes Kostenbudget. Erst wenn Organisationen die neuen Vorgaben tatsächlich umsetzen und valide Kostenrechnungsdaten vorliegen, kann wieder zur regulären Datengrundlage zurückgekehrt werden.

Bis dahin gilt: Wer möchte, dass die Angehörigenpflege als Versorgungssystem zu einem nachhaltigeren und rentableren Pflegesystem beiträgt, darf nicht mit alten Zahlen gegen neue Realitäten kämpfen. 

Fazit:

Der Ball liegt nun bei den Verbänden, Versicherern und Kantonen – nicht beim Gesetzgeber.

Der Bundesrat hat die Grundlage gelegt, aber die eigentliche Arbeit beginnt jetzt:

  • Die Schweiz braucht eine nationale, einheitliche Regelung der Angehörigenpflege.
  • Sie braucht dafür keine neuen Gesetze, sondern einen starken Qualitätsvertrag nach Art. 58a KVG.
  • Sie braucht eine Finanzierung der Angehörigenpflege, die realistisch ist – nicht nostalgisch.
  • Und sie braucht den Mut, Fragmentierung jetzt zu verhindern, bevor sie entsteht.

Wenn die Verbände der Spitex, die Versicherer und die Kantone diesen Weg gemeinsam gehen, entsteht erstmals ein kohärentes, professionelles und nachhaltiges System der Angehörigenpflege in der Schweiz. Wenn nicht, droht ein bürokratisches Labyrinth, das niemandem nützt: Weder den Organisationen, noch den Pflegenden, noch der öffentlichen Hand, noch den Patientinnen und Patienten.